Wenn es um die Optimierung der Eignung sowie die Erfassung und Entwicklung von Kompetenzen geht, verspricht die Personalpsychologie Antworten auf wiederkehrende und neuartige Fragestellungen: Ist der Bewerber geeignet für die ausgeschriebene Position? Wie erkenne ich am Besten, welche Bewerber wie geeignet sind? Woher weiß ich, welche Kompetenzen für eine Stelle relevante Kriterien darstellen? Welche Kosten können Organisationen einsparen? Der KAI-Ansatz bringt Antworten und noch viel mehr…

Der KAI-Ansatz:

Als ich diese drei Buchstaben zum ersten Mal hörte, kamen in mir Erinnerungen aus der dritten Klasse hoch, als uns Zahnärzte erzählten, wie meine Mitschüler und ich die Bösewichte Karius und Baktus bekämpfen könnten: „Erst die Kauflächen, dann die Außenflächen, dann die Innenflächen.“ Ein Credo, das mir noch bis zum ersten Tag der Vorlesung geläufig war und bis dahin meine Zähne bösewichtefrei hielt.

Natürlich geht es in der Personalpsychologie, die als Teildisziplin der Wirtschaftspsychologie untergliedert ist, nicht um Zahnhygiene. Im übertragenen Sinne ist die Metapher dennoch hilfreich, denn wenn eine Organisation nicht auf saubere Entscheidungsfindung ausgelegt ist, wartet statt Karius und Baktus der Insolvenzverwalter.

Der KAI-Ansatz hat das Potenzial Personalentscheidungen zu verbessern und den Trefferquotienten „richtiger“ Entscheidungen zu erhöhen. Wie genau dieser Ansatz funktioniert, welche Möglichkeiten und Verbesserungen er bringt und wie er im Unternehmen implementiert werden kann, ist die Zielsetzung dieses Artikels.

Das Akronym „KAI“ steht für die Vereinigung eines sauberen Kompetenzmodells (K), einer strukturierten Anforderungsanalyse (A) und sinnvollen Instrumenten (I), welche numerische Daten produzieren.

Der KAI-Ansatz wurde zwar aus der Theorie geboren, dessen praktische Anwendung lässt sich dennoch als Prozess in drei Schritten herunterbrechen.

Der Prozess beginnt mit der Prüfung und Implementierung eines evidenzbasierten Kompetenzmodells (K). Im Unternehmen bereits bestehende Kompetenzmodelle werden auf Evidenz (wissenschaftliche Fundierung und Belegung durch Studien), Trennschärfe, Messbarkeit und prognostische Validität (den Zusammenhang mit Berufserfolgskriterien) analysiert und restrukturiert. Die Forschung zu besonders stark in Zusammenhang mit Berufserfolg stehenden Kompetenzen liefert 12 Kompetenzen, denen in multiplen Studien und Experimenten Zusammenhangseffekte nachgewiesen werden konnten.

Die für das Unternehmen wichtigsten Kompetenzen werden nach vorheriger Bedarfsanalyse ausgewählt und in ein Kompetenzmodell implementiert. Vorhandene Kompetenzen werden, falls passend, eingebracht.

Sind die Skalierungen der Kompetenzen fertiggestellt, folgt der zweite Schritt des KAI-Ansatz: die „richtigen“ Skalen-Ausprägungen der einzelnen Kompetenzen zu ermitteln.

Welche Kompetenzen, Fachwissen und Werte für die Eignung eines potenziellen Mitarbeiters optimal sind ist nicht mit dem Maximalprinzip zu beantworten, den Kompetenzen sind nicht auf der „Gut-Schlecht“ Skala verortet, sondern auf einer Skala jenseits dieser Konstrukte. Vielmehr ist es die Optimale Passung der Kompetenzen des Bewerbers auf die Kompetenz-Anforderungen der Stelle.

Welche Anforderungen eine Position an den Mitarbeiter darstellt und wie daraus ein Anforderungsprofil ermittelt wird entscheidet sich durch die Anforderungsanalyse (A). Diese kann ebenfalls in drei Schritten dargestellt werden:

  1. Experten-Rating durch moderierte Konsensdiskussion und Einschätzung der Kompetenzausprägungen für den maximalen Beruferfolg und Performance in der Position.
  2. Experten-Testing durch Kompetenzmessungen der High-, Mid- und Low-Performer im Unternehmen. Die Daten der Einschätzungen aus dem ersten Schritt werden mit Realdaten verrechnet, Standardabweichungen und andere Verzerrungen werden statistisch „gesäubert“.
  3. Erstellen des Anforderungsprofils und Darstellung der benötigten Kompetenz-Ausprägungen des Bewerbers innerhalb der Kompetenzskalen.

Nachdem die Anforderungen an die Stelle ermittelt wurden, muss zwangsweise über Messung der Kompetenzen und damit über die passenden Messinstrumente (I) entschieden werden. Methodisch gesehen existieren auch hier optimale Passungen von Messinstrument und Kompetenz. Für jede Kompetenz gibt es mindestens ein Instrument, das valider misst als ein anderes, weshalb auch hier die optimale Passung zählt. Für passende Messinstrumente gibt es eine Matrix, die wie der KAI-Ansatz wissenschaftlich-evident ist.

Das Anforderungsprofil sowie die darauf-aufbauenden Methoden können dann in den Recruitingprozess implementiert werden. Das Credo des KAI-Ansatzes in der unternehmerischen Praxis lautet „Passung statt Maximalprinzip“ – das hatte ich wohl als damaliger Drittklässler übersehen.

Die Kosten falscher Personalentscheidungen

Wie teuer es sein kann, falsche Personalentscheidungen zu treffen, ist vielen Unternehmen zunächst nicht klar. Die Kosten sind erfahrungsgemäß aber sehr viel höher als sie erwartet werden. Werden Positionen von unpassenden Mitarbeitern gefüllt, entstehen harte und weiche Kosten, die sich als Umsatzeinbußen zeigen:

Statistisch gesehen ist jede dritte Personalentscheidung falsch (Recruiting-Trends, 2014, Hay Group, 2015).

Die Kosten sind je nach Gehältern bei Mitarbeitern und Führungskräften unterschiedlich. So kostet eine falsche Entscheidung der Besetzung eines Mitarbeiters das 1-2-fache Jahresgehalt eines Mitarbeiters (Klug, 2016; Wucknitz, 2002), die Kosten für eine Führungskraft hingegen das 2- bis 3 -fache Jahresgehalt (Kienbaum, 2005; Karent, 10/11, von Bernstorff, 2018). Bei einem Durchschnittsgehalt von 95.000€ – 181.000€ (von Bernstorff, 2018) liegen allein die entstandenen „harten Kosten“ in einem Bereich zwischen 285.000€ und 543.000€. Zusätzlich entstehen weitere „weiche Kosten“ durch erhöhte oder verringerte Arbeitsbelastung, Stress, Krankheit und Fluktuation sowie Fehltagen (DAK-Studie, 2015).

Weitere entstehende Kosten und deren Ursachen im Überblick:

Personalkosten: 100.000€ (Mdn); 187.000€ (Mw)

Umsatzeinbußen: 235.000€ (Mdn); 6.5 Mio.€ (Mw)

Dauer der Neubesetzung: 12-17 Wochen (Mw)

Kosten der Neubesetzung (Stellenbeschreibung bis Antritt): 10.000 – 17.000€ (Mw)

(Ursprung aus der Talentry-BSP-IQP-HU-Studie von 2017 mit N=181 Probanden und einem HR-Anteil von 76% und beziehen sich auf Kosten von Fehlentscheidungen im Vertrieb.)

Warum es Fehlbesetzungen unbedingt zu vermeiden gilt:

Kosten der Fehlbesetzung einer Führungskraft (Jahresgehalt von 100.000€):

▹ Gehaltsfortzahlungen (3 Monate): 25.000€

▹ Mehrarbeit bei Kollegen (und/oder Interimskraft): 5.000€

▹ Neurekrutierung (Anforderungen definieren, Stelle ausschreiben, Bewerbermanagement, Gespräche: 140.000€ (Kienbaum, 2005)

▹ Aufwändigere Potenzialanalysen, z.B. Assessment Center: 2000€ bis 4.000€ pro Teilnehmer pro Tag (Schermuly & Nachtwei, 2010)

▹ Leistungseinbußen (Einarbeitung, Fluktuationskosten im Team): 140.000 € (Kienbaum, 2005)

Kosten der Fehlbesetzung eines Mitarbeiters (Jahresgehalt 40.000€):

▹ Gehaltsfortzahlungen (3 Monate): 10.000€

▹ Mehrarbeit bei Kollegen (und/oder Interimskraft): 5.000€

▹ Neurekrutierung (Anforderungen definieren, Stelle ausschreiben, Bewerbermanagement, Gespräche: 40.000€ (Kienbaum, 2005)

▹ Leistungseinbußen (Einarbeitung, Fluktuationskosten im Team): 40.000€ (Kienbaum, 2005)

Warum entstehen die Kosten weiterhin, wenn die finanziellen Auswirkungen auf die Organisation so groß sind?

▸  „80% von 179 Personalverantwortlichen in DACH setzen auf Intuition, wenn es um die Definition von Anforderungen und die Auswahl von Führungskräften geht“ (Nachtwei, von Bernstorff, Uedelhoven & Liebenow, 2013).

▸  „85% von 241 befragten Unternehmen in DACH überprüfen nicht, ob ihre Instrumente zur Potenzialanalyse etwas taugen, d.h. den späteren beruflichen Erfolg vorhersagen können“ (Nachtwei et al., 2015) .

▸ “70% von KMU und 58% der Konzerne nutzen das Instrument mit der schlechtesten Vorhersagekraft von Berufserfolg“ (Nachtwei & Schermuly, 2009).

Fazit

Warum die Umsetzung des KAI-Ansatzes in DACH noch wenig verbreitet ist liegt wahrscheinlich an dessen Neuartigkeit. Dennoch stellen unzureichendes Know-How von Personalern in der Analyse von Daten und fehlende Software sowie Budget-Einsparungen nicht die optimalen Voraussetzungen für die Reduktion von Fehlentscheidungen im Personal dar. Intuition oder „Bauchgefühl“ wird im Humankapitalmanagement viel zu viel Raum ermöglicht. Oder um noch einmal auf das Grundschulvokabular zurückzugreifen und den Bogen zum Anfang zu schlagen: „Wenn es sauber sein soll – Daten statt Raten“.

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