Es ist kurz vor Acht in Deutschland. Falls der Fernseher bisher noch nicht angeschaltet wurde, passiert dies genau jetzt in vielen Deutschen Haushalten. Ein kurzer Countdown lässt den Zuschauer mit Blick auf die eingeblendete Uhr auf die achte Stunde des Tages mitzählen. Ein Glockenschlag ist zu hören und läutet eine der bekanntesten Anmoderationen Deutschlands ein: „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.“

Um Punkt 8 Uhr beginnt die Nachrichtensendung, die von den meisten Deutschen als die vertrauenswürdigste Quelle für Nachrichten dient. Aus einer Umfrage des Reuters Institute for the Study of Journalism von September 2019 geht dies hervor. Auf einer elfstufigen Skala von 0 („überhaupt nicht vertrauenswürdig“) bis 10 („äußerst vertrauenswürdig“) beansprucht die ARD Tagesschau den ersten Platz mit (6,97 Punkten). Dicht gefolgt vom ZDF heute (6,8 Punkte) und Regional- sowie Tageszeitungen (6,72 Punkte). Einige bekannte Print-Nachrichtenmagazine nehmen die nachfolgenden Tabellenplätze ein. Den letzten Platz beansprucht die BILD-Zeitung für sich (3,66 Punkte). Siehe Abb. 1.:

Abb. 1. Ranking der Nachrichtenquellen in Deutschland, denen die Bürger am stärksten vertrauen im Jahr 2019 (Quelle: Reuters Institute for the Study of Journalism; 2019)

Interessant zu betrachten ist nicht nur der Abstand, der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit der Nachrichtenmedien, sondern der, der aus der Statistik eher weniger hervorgeht – Der Abstand zu den möglichen Ausprägungen, die hätten erreicht werden können, nämlich die Punkte von (0 bis 3) und jegliche Werte oberhalb der 6,97 Punkte (7 bis 10). Wie kann es sein, dass sie die prozentuale Vertrauenswürdigkeit der Nachrichtenmedien bei den Deutschen durchschnittlich bei maximal 69,7 Prozent zu sein scheint?

Entscheidend für dieses Ergebnis könnte die Differenz zwischen dem sein, über welche Ereignisse die Nachrichtenmedien (in welcher Art und Weise) berichten und inwiefern die Berichterstattung die Erwartung der Zuschauer erfüllt. Wie genau funktioniert also der Prozess der Berichterstattung und wie wird aus einem Ereignis eine Nachricht? Was ist der Nachrichtenwert?

Der Nachrichtenwert

Der Nachrichtenwert beschreibt im allgemeinen die Publikationswürdigkeit eines Ereignisses in den Medien. Dessen Bestimmung unterliegt den Medienmachern und Journalisten, welche über die Ereignisse berichten.

Kriterien des Nachrichtenwerts sind folglich als Nachrichtenfaktoren gelistet. Darunter fallen bezogen auf den Deutschsprachigen Raum mit Angabe dessen Wichtigkeit (Wichtigkeitsskala als fünfstufige (1-5) unipolare Likelihood-Skala):

Abb. 2: Nachrichtenfaktoren: geordnet nach Wichtigkeit bei der Nachrichtenauswahl (Ruhrmann & Göbbel 2007, S.41)

Abb. 3: Der Nachrichtenzyklus und die Beziehungen zwischen den Akteuren (Ruhrmann & Göbbel 2007, S.41)

Anhand dieser Kriterien messen Journalisten und Medienmacher die Werte von Ereignissen zumindest vorerst und publizieren diese dann, unwissentlich oder nicht, unter Beeinflussung eines Narrativs der Agenda.

Es ist nicht weit hergeholt zu glauben, dass bei unterschiedlicher Einschätzung von Nachrichten-Werten ebenfalls die audio-visuelle Darstellung der Ereignisse differiert. So gibt es mitunter diesem mindestens zwei weitere kritische Ereignisse, die im Prozess der praktischen Darstellung von Ereignissen durch die Medien interessant zu betrachten sind.

Dass es intraindividuelle Unterschiede in der menschlichen Wahrnehmung gibt, ist kein Geheimnis. Aus subjektivistischer Sicht ist jegliche Wahrnehmung eines Menschen unterschiedlich. Ich finde diesen Satz sehr zutreffend: Die einzige menschliche Gemeinsamkeit in dessen Erleben, Verhalten und Handeln liegt in dessen Unterschiedlichkeit.

Aus subjektivistischer Sichtweise fällt bereits dort ein erster Kritikpunkt des Nachrichtenwert ins Auge.

Davon ausgehend, dass ein Ziel der staatlichen Medien darin liegt die Bevölkerung ausreichend und kontrovers zu informieren und ein weiteres darin maximale Nachfrage durch den Rezipienten anzustreben kann von einem Konflikt beider Zielvereinbarungen ausgegangen werden. Unter der Berücksichtigung dieser divergenten Ziele scheint es fragwürdig, ob die Wirklichkeit wirklich so kontrovers und neutral wie möglich wiedergegeben wird, wie es zum Beispiel im Deutschen Rundfunkvertrag beschlossen ist.

Eine objektive Medienberichterstattung scheint praktisch unmöglich zu sein, denn theoretisch müsste ein Ereignis eineindeutig von den Medien abgebildet werden, unverwechselbar und so genau, wie es tatsächlich passiert ist.

Diese Form der Abbildung wäre als bijektiv zu bezeichnen. Dabei würde jedem definierten Ereignis-Wert die Zuordnung zu genau einem Wert im menschlich-geschaffenen Werte-Bereich unterstehen. Eine eindeutige Abbildung also, in der jeder Wert aus einem der jeweiligen Bereiche zu dem verbundenen Wert im jeweils anderen Bereich zuzuordnen wäre, ohne, dass es doppelte oder fehlende Relative gäbe.

Aus praktischer Sicht scheint dies unmöglich, da jedes menschliche Messwerkzeug erstens nicht alle Werte erfassen kann – Es gibt immer Ereignisse, die nicht wahrgenommen werden, aber dennoch existieren. Zweitens misst nicht zwingend jedes menschliche Messwerkzeug einem Ereignis den identischen Nachrichtenfaktorwert zu.

Aber welchen Hypothesen unterliegt nun die Berichterstattung eines Ereignisses, welches durch die Kriterien innerhalb der kritischen Masse der Publikationswürdigkeit liegt? Es gibt mindestens drei Hypothesen, die zur Entstehung einer Berichterstattung eines Ereignisses führen. Sie beschreiben drei Prozesse, wie Nachrichten entstehen und beziehen sich dabei auf deren Zusammensetzung der Nachrichtenfaktoren. Die Bildung des Nachrichtenwerts ist im gesamten Prozess nach der Messung der Nachrichtenfaktoren angeordnet.

Abb. 4: Die Bildung des Nachrichtenwerts als Summenformel; Quelle: eigene Darstellung)

Schauen wir uns für einen Moment die Summenformel aus Abbildung 4 genauer an. Diese soll dazu dienen die Entstehung des Nachrichtenwerts (N) besser zu verstehen.

Zunächst die Erklärung der Summanden und des Laufindexes: Die Indizes „i,j und k“ stehen für einzelne Kriterien des Nachrichtenwerts (siehe oben; z.B. Reichweite, Überraschung, negative Folgen…), „n“ beschreibt das letzte Kriterium. „x“ steht für den numerischen Wert des Nachrichtenfaktors und ist jeweils einem Kriterium („i,j,k“) zugeordnet.

Die Summe der Nachrichtenfaktorenwerte [vom Ersten (1) bis zum Letzten (n)] wird als Nachrichtenwert (N) verstanden.

Die Interpretation des Nachrichtenwerts (N) dient der Ableitung der Publikationswürdigkeit eines Ereignisses für die Berichterstattung.

Das Modell der Berichterstattung beinhaltet zwei Faktoren und eine Konsequenz:

Der erste Faktor ist menschlichen Ursprungs und ist gleichzeitig Ziel dieses Systems: Die Abbildung der Wirklichkeit. Der zweite Faktor ist Umweltfaktor und problematisch für das Ziel. Die Konsequenz ist die Verfehlung des Ziels, letzten Endes die allumfassende und eineindeutige Abbildung der Umwelt durch den Menschen.

Im Sinne einer bijektiven (eineindeutigen) Abbildung der Realität durch Berichterstattungen in den Nachrichten wäre eine Darstellung von Ereignissen unmöglich. Folgende Faktoren hängen damit zusammen und werden aus der Perspektive des Berichterstatters beschrieben.

Erstens: Jedes vom Menschen definierte Zeitfenster, ob eine Stunde, ein Tag, ein Monat, ein Jahr, eine Dekade und so auch die zwei Millionen Jahre, die der Homo Sapiens auf der Erde wandelt, ist endlich und damit begrenzt.

Die Anzahl an Ereignissen, die im Universum in jeder noch so winzigen Zeiteinheit geschehen, ist unendlich und unbegrenzt. Das erste Problem stellt die begrenzte Zeit des Menschen in einer unendlichen Umwelt dar.

Zweitens: Die Einschätzung des Nachrichtenwerts: Diese ist wie beschrieben subjektiv und wird von Menschen und Organisationen menschlicher Kreation vorgenommen. Jeder Mensch unterscheidet sich in seinem Verhalten, Erleben und Handeln in mindestens einer Weise von einem Artgenossen. In Folge dessen unterscheidet sich auch seine Einschätzung von Wichtigkeit eines Ereignisses.

Die Festlegung der kritischen Werte, die im Falle der Überschreitung der Nachrichtenwert-Summe zu einem Bericht führen, sind ebenfalls vom Menschen geschafften. Die Konsequenz liegt in der menschlichen Subjektivität und verändert eben auch seine Berichterstattung in dieser individuell-unterschiedlichen Darstellungs- und Wahrnehmungsweise. Auch auf die Perspektive des Rezipienten sind diese Probleme übertragbar.

Auch wenn das Problem der niemals objektiven (oder immer subjektiven) Berichterstattung von Ereignissen für uns Menschen niemals zu beheben sein wird, da wir selbst Verursacher sind, macht es einen Unterschied sich der Subjektivität in Folge der Glaubwürdigkeit bewusst zu sein. Seien Sie sich also stets bewusst, dass die Nachrichten, die sie sehen, niemals wirklich neutral und objektiv sein können.

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