Angekommen im Zeitalter der Digitalisierung

Dieser Beitrag beschäftigt sich im weiteren Sinne mit der Internetabhängigkeit während des gesellschaftlichen Wandels durch die Digitalisierung, die durch die Erfindung des Internets und den technologischen Fortschritt, stetig an Relevanz dazugewinnt. Im engeren Sinne thematisiert er Motive, Folgen und Risiken der Internetsucht aus psychologischer Perspektive und der beidseitigen Argumentation bezüglich der Klassifikation der Internetsucht als psychische Krankheit. Die Aufteilung des Beitrags erfolgt in drei Teilen. Der erste Beitragsteil dient der Begriffserklärung und Spezifikation von „Internetsucht“ und der Suche nach psychologischen Ursachen, abgeleitet aus den Motiven der Betroffenen. Im Zuge der Ableitung von Motiven werden Motivationstheorien herangezogen und auf die Verhaltensweisen der Betroffenen angewandt. Der zweite Teil des Beitrags fokussiert sich auf die Folgen der Internetsucht und dessen psychische Auswirkung auf Betroffene. Im dritten Teil des Beitrags wird auf Grundlage diverser wissenschaftlicher Ansichten diskutiert, ob die Internetsucht als psychisches Krankheitsbild klassifiziert werden sollte. Abschließend folgt die Zusammenfassung der Erkenntnisse und ein Ausblick in zukünftige Forschungen.

Internetabhängigkeit ist ein Phänomen der Neuzeit. Digitalisierung und der technologische Fortschritt dienen als Wegbereiter.

Technologischer Wandel und Prozesstärke

Im Zeitalter der Digitalisierung befindet sich die Gesellschaft in einem technologischen Wandel mit der Konsequenz einer digitalen Transformation des menschlichen Verhaltens, Erlebens und Handelns. Dieser Wandel betrifft analoge Prozesse und Anwendungen. Er verändert den Menschen und die Art des menschlichen Zusammenlebens. Vor allem die Kommunikation und soziale Interaktionen passen sich der Digitalisierung an. Die Digitalisierung erleichtert das Leben des Menschen. Seit der Entwicklung des World Wide Webs durch Tim Berners-Lee im Jahr 1989 hat sich das einst massenuntaugliche, komplizierte Internet zu einer benutzerfreundlichen Integrationsplattform entwickelt, welches „Web 2.0“ genannt wird (CIO, 2003) .Im nachfolgenden Beitrag bezieht sich die Bezeichnung des „Internets“ auf diese weiterentwickelte Oberfläche des World Wide Webs.

Die digitalisierten, internetfähigen Medien übermitteln über Datenpakete Botschaften in Form von Nachrichten oder Sprachanrufen. Menschliches Wissen wird in gigantischen Datenbanken gespeichert und abgerufen. Im Zeitalter der Digitalisierung dient das Internet als Verbindungselement des Menschen und verstärkt jegliche Form der menschlichen Kommunikation. Watzlawick definiert Kommunikation als Grundlage menschlichen Verhaltens: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren(Watzlawick, 2003, S. 38f.). Das Internet ist Instrument für schnelles effektives Handeln geworden. Unklar ist, ob die Abhängigkeit der Menschen vom Internet die Funktion dessen, als menschendienliches Instrument, behauptet.

Aus einer Studie von ARD; ZDF mit einem Stichprobenumfang von 30.175 befragten Menschen in Deutschland über 14 Jahren, geht hervor, dass zu Beginn der Studie, im Jahr 2001, lediglich 37% der Befragten das Internet benutzten. 2016 waren es 79% aller befragten Personen. Schlussfolgernd hat sich die Personenanzahl, die das Internet benutzen in Deutschland in einem Zeitraum von 15 Jahren mehr als verdoppelt (Initiative D21, 2016). Auch die tägliche Benutzung stieg über den Zeitraum an. Wurden im Jahr 2001 täglich 17 Minuten mit der Benutzung des Internets verbracht, so waren es im Jahr 2016 128 Minuten. Dieser absoluten Anstieg um 111 Minuten geht aus einer weiteren Studie hervor (Initiative D21, 2016). Die Frage nach den Ursachen dieser Anstiege gleicht der Frage nach der Motivation seiner Rezipienten. Bevor aber erfasst werden kann, welche Tätigkeiten Nutzer im Internet verfolgen, um daraus mögliche Motive abzuleiten, bedarf es einiger Begriffsdefinitionen, die für den Verlauf des Beitrags essentiell sind. In der Literatur, meist vor 1997, wird häufig von „Sucht“ gesprochen, die das „unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand“ bezeichnet (Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, 2017, S. 1) und somit eine heterogene Gruppe Betroffener homogen erscheinen lässt. Aus diesem Grund fehlt eine Differenzierung des Suchtbildes. Als Konsequenz daraus erfolgte die Ablehnung des Suchtbegriffs, der als solcher definiert wurde.

Im Rahmen der Weiterentwicklung des ICD („International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“) als diagnostisches Standardportfolio für psychische Erkrankungen wurde die Definition des Suchtbegriffs zeitgemäß angepasst. Seitdem die Weltgesundheitsorganisation 1997 das Abhängigkeitskonzept entwickelte, wurde der Begriff „Sucht“ als unzureichend erklärt und als mangelhaft in der Verhaltensbeschreibung Betroffener. Eine Begriffsneubestimmung sieht die Begriffe Missbrauch und Abhängigkeit als zutreffender an. Der Begriff „Missbrauch“ bezeichnet den unsachgemäßen, schädigenden Gebrauch einer Substanz oder eines Verhaltens. „Abhängigkeit“ entsteht durch Gewöhnung und setzt eine spezifische Reaktionsminderung nach Reizwiederholung voraus. „In der gewohnten Reizsituation verlieren […] angeborene wirksame Schlüsselreize ihre auslösende Wirkung […]“ (Soyka, 1999, S. 43). Die, aus der Abhängigkeit hervorgehenden Motive, werden Suchtmotive genannt.

Motive und Folgen der Internetabhängigkeit
Motive und Folgen der Internetabhängigkeit.

Motive – Flucht oder Suche?

Suchtmotive sind individuell stark variierende und Motive Süchtiger. Im Fachterminus des Suchtmotivs kann zwischen einem Flucht-Motiv und einem Such-Motiv differenziert werden. Das Fluchtmotiv bezeichnet die Form der Ignoranz und Ablenkung zur Verschiebung von Auseinandersetzungen mit persönlichen Problemen einer betroffenen Person. Das Such-Motiv beschreibt die Suche nach einer reizvollen, intensiven Erfahrung oder eines solchen Erlebnisses (Wenninger, 2000). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sucht bzw. Abhängigkeit immer etwas mit einer Flucht vor oder einer Suche nach einem Gegenstand oder Zustand verknüpft ist. Um herauszufinden wovor Betroffene flüchten oder was sie suchen und um andere mögliche Motive der Betroffenen von Internetabhängigkeit zu erkennen, muss zuerst herausgefunden werden, welchen Aktivitäten Benutzer im Internet nachgehen. So können mögliche Motive aus dem Nutzungsverhalten der Rezipienten abgeleitet werden.

Aus einer Studie, die sich mit den Fragen beschäftigt, warum Menschen das Internet benutzen und welchen Aktivitäten im Internet nachgegangen wird, können folgende Daten entnommen werden: Mit einer relativen Häufigkeit von 61% gehen die Befragten dem Informationsaustausch durch Chatportale und Messaging-Apps nach. 58% aller Befragten nutzen Soziale Netzwerke, wie zum Beispiel Facebook, Instagram, Twitter. Mehr als ein Drittel aller Befragten nutzen Internettelefonie-Dienste (37%) sowie das Veröffentlichen von persönlichen Bildern und Videos und Texten in Foren, Blogs und sozialen Netzwerken (34%). (ARD; ZDF, 2016).

Es ergibt sich die Frage nach der Motivation und den Motiven der Benutzer, die diese Verteilung begründet. Die Herangehensweise an diese Fragestellung setzt eine allgemeingültige Definition der Begriffe „Motivation und „Motiv“ voraus. Motivation lässt sich definieren als die „aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand“ (Rheinberg, 2008, S. 21). Motive gehen aus der Motivation hervor und sind „zeitlich relativ überdauernde psychische Eigenschaften von Personen. Sie werden im Zug der Sozialisation erworben und bilden ein verhältnismäßig stabiles System“ (Maier, 2012, S. 25). Die meistverrichteten Tätigkeiten, nach der Studie, sind der Informationsaustausch über Messenger Dienste, die Nutzung von sozialen Netzwerken sowie die Nutzung von Telefondiensten über das Internet. Bei genauerer Betrachtung dieser Aktivitäten wird deutlich, dass besonders soziale Motive ausschlaggebend über die Nutzung von Online-Diensten sein müssen.

Die drei Grundmotive

Die Motivationstheorie von Heckhausen geht davon aus, dass es drei menschliche Grundmotive gibt, die jeglicher Form und Zielsetzung menschlichen Handelns zugrunde liegen. Neben einem sozialen Anschlussmotiv existiert sowohl ein Machtmotiv als auch ein Leistungsmotiv. Ausgehend davon, dass die Grundmotive jegliche Form menschlichen Handels betreffen, kann die Verfolgung dieser Grundmotive auch im Kontext der Internetabhängigkeit erkannt werden.

Das soziale Anschlussmotiv

Das soziale Anschlussmotiv ist eines der drei Grundmotive in der Motivationstheorie nach Heckhausen. Es beschreibt das Zugehörigkeitsbedürfnis als Teil einer Gesellschaft zu funktionieren, in sozialen Gefügen integriert zu sein sowie Kontakte, Beziehungen und Intimitäten zu Gruppenmitgliedern zu pflegen (Heckhausen & Heckhausen, 2009).

Die Verbindungsfunktion des Internets fördert die Kommunikation innerhalb einer Gruppe. Durch Messenger-Dienste wie WhatsApp, E-Mail oder Soziale Netzwerke können Gruppenmitglieder unabhängig von Ort und Zeit kommunizieren. Das Internet dient als Kommunikationsverstärker, da es Menschen miteinander verbindet und die Intensität von Kommunikation erhöht. Durch das Internet können Gruppen besser miteinander kommunizieren. Neue Gruppenmitglieder können beispielsweise in einen Whatsapp-Gruppenchat, einer Facebook-Gruppe oder in einem Forum integriert werden. Zudem bietet es neue Möglichkeiten der menschlichen Kontaktaufnahme, die vor Erfindung des Internets unmöglich schienen. Durch Blogs, Foren und soziale Netzwerke können neue soziale Bindungen entstehen, gefestigt und gepflegt werden.

Das Leistungsmotiv

Das Motiv der Leistung ist das bis heute am intensivsten untersuchte Motiv. Schon 1938 führte es Henry A. Murray als „need Achievement“ auf seiner Liste psychogener Bedürfnisse auf und umschrieb es mit folgenden Merkmalen: „Eine schwierige Aufgabe meistern, etwas besser und schneller tun, Probleme überwinden, einen hohen Standard erreichen, das eigene Talent beweisen, andere im Wettbewerb übertreffen“ (Heckhausen & Heckhausen, 2009, S. 144).

Angetrieben vom Leistungsmotiv werden Handlungen, die auf die Effektivitätssteigerung der individuellen Leistung, dem Beweisen der eigenen Talente und Fähigkeiten und der Übertreffung der individuellen Leistungen, Erwartungen sowie der Wahrnehmung im sozialen Gefüge ausgerichtet sind.

Individuen erlangen durch das Internet die Fähigkeit die eigene Leistung zu steigern und zu repräsentieren. So können Tätigkeiten durch die Verbindungsfunktion des Internets unabhängig von Ort und Zeit verrichtet werden. Beispielsweise im Home-Office oder während Zugfahrten bietet es die Möglichkeit Arbeiten außerhalb der Arbeitsstätte zu verrichten.

Eine weitere Möglichkeit wie das Leistungsmotiv durch das Internet verfolgt werden kann, ist durch Social Media. Das persönliche Auftreten in sozialen Netzwerken und besonders die Bearbeitung eines Profils dient der Selbstpräsentation. Auf diesen Plattformen können persönliche Erfolge und Leistungen dargestellt werden und Eigenmarketing betrieben werden, welches das Ansehen der eigenen Person erhöht. Aber auch in Online-Rollenspielen können Spieler Avatare kreieren und durch intensives Spielen besondere Leistungen vollbringen. Die Belohnung, in Form von Erfahrungspunkten oder virtuellen Gegenständen, erhalten sie auch durch die Anerkennung anderer Spieler und des Spiels selbst. Online-Spiele bieten eine hervorragende Alternative zur Leistungserbringung in der Realität und können die Leistungen, die im realen Leben nicht erreicht oder bewundert werden, ersetzbar machen.

Das Machtmotiv

„In diesem Zusammenhang müsste sich aufzeigen lassen, dass ein Organismus, der über Macht, Status und Einfluss verfügt, einen Adaptationsvorteil gegenüber einem Organismus aufweist, der diese Merkmale nicht besitzt“ (Heckhausen & Heckhausen, 2009, S. 146).

Der Adaptionsvorteil der Internetnutzer ist das Internet. Die besondere Einflussnahme von Internetnutzern auf andere kann über Internetforen, Webseiten und Social Media erfolgen. Die Meinungsbildung und deren Publikation ist eine Form der Machtausübung durch die Fähigkeit, in der Lage zu sein sich und seine Ansichten zu teilen, egal, ob andere Nutzer diese wahrnehmen wollen. Das Internet bietet ein gigantisches Publikum an Nutzern, die sich persönlichen Meinungen nicht entziehen können. Einer der größten Adaptionsvorteile für den Benutzer ist die permanente Erreichbarkeit derer Inhalte und Dienste. Allein die Fähigkeit der Speicherung von Daten verschafft dem Nutzer einen Vorteil gegenüber Offlinern, die ihre Datenspeicherung analog vornehmen. Ein Machtvorteil kann auch in der Abrufung der online-aufbewahrten Daten liegen. Die Fähigkeit, unabhängig von Ort und Zeit, Wissen abrufen zu können, verleiht den Benutzern Macht gegenüber den Nichtbenutzern. Zudem können Internetnutzer geschäftliche Transaktionen über das Internet vornehmen: zum Beispiel durch Online Banking. Für Internetnutzer eröffnet sich mit dem Online-Handel eine neue Marktplattform. Eine mobile, schnelle und vielseitige Form des Handels, die allein durch ihre Existenz als Alternative zum Einzelhandel, vorteilhaft ist.

Auslöser in intrinsischer Motivation

Kai W. Müller definiert die Internetsucht als „die zwanghafte, pathologische Nutzung des Internets als substanzungebundene Verhaltenssucht“ (Müller, 2013, S. 18).  Essentiell dabei sei, dass auch das Interesse an der Internetnutzung selbst bestünde und nicht nur an dessen extrinsischen Belohnungen (Müller, 2013). Denn bei Internetabhängigen entsteht die Abhängigkeit besonders durch eine intrinsische Motivation, durch das Interesse am Verhalten selbst. Intrinsische Motivation bezeichnet den Wunsch oder die Absicht eine Handlung durchzuführen, weil die Handlung als solche als interessant, spannend oder attraktiv erscheint (Hubner, 2002). Dabei entstehen die Motive aus der eigenen Person und dessen interner Zielsetzungen. Die Handlung stellt gleichzeitig auch die Handlungsmotivation dar, da die Belohnung aus der Handlung hervorgeht. Die intrinsische Motivation ist zu unterscheiden von der extrinsischen Motivation, die die Belohnung durch Faktoren außerhalb der persönlichen Handlungsinteresse am Gegenstand der Handlung vorsieht (Hubner, 2002

Risiken der Internetabhängigkeit

Aufgrund der Definition der Suchtmotive und deren Unterteilung in ein Flucht- und ein Suchmotiv, liegt die Vermutung nahe, dass ein Risiko der Internetabhängigkeit darin liegt, aus der realen Welt in eine virtuelle Welt zu flüchten. Die, daraus resultierende, Folge für Betroffene wäre, die Vernachlässigung reeller sozialer Kontakte und Isolation von der Realität. Die Realitätsflucht findet besonders stark durch Online-Rollenspiele statt, deren Spielgrundlage der Aufbau eines zweiten virtuellen Lebens ist.

Jede Abhängigkeit beherbergt des Risiko einer Sucht. Welche Kriterien für die Internetabhängigkeit verantwortlich sind, erfährst Du später.

Betroffene der Internetabhängigkeit zeigen mangelnde Fähigkeiten im sozialen Umgang mit Menschen mit der Konsequenz gemeinschaftliche Aktivitäten in der Realität abzulehnen. Mit der sinkenden sozialen Aktivität könnte auch die Empathie-Fähigkeit sinken, sodass die Gleichgültigkeit für die reale Welt und Menschen steigt. Interessant ist, dass diese Prädiktoren das Kriterium einer dissozialen Persönlichkeitsstörung vorhersagen können. Bei dieser Verhaltensstörung handelt es sich um „eine Persönlichkeitsstörung, die durch eine Missachtung sozialer Verpflichtungen auffällt. Zwischen dem Verhalten und den herrschenden sozialen Normen besteht eine erhebliche Diskrepanz“  (ICD-10-Code, 2017).

Durch die Zentralisierung des Suchtgegenstands und der Verdrängung anderer Aktivitäten bedarf es der Internetnutzung eines immensen Zeitaufwands. Durch diesen Zeitaufwand für das Internet, wird der Zeitaufwand für andere Aktivitäten von Internetabhängigen verringert. Die Verringerung soziale Aktivitäten steht in einem positiven Zusammenhang mit der Verringerung des Glücksgefühls bei anderen Aktivitäten von Internetabhängigen. Zudem verändert sich die exzessive Nutzung in einen Zwang, der zum Verlust der Kontrolle über den Suchtgegenstand führt.

Die Psychopathie des Internets: Das Krankheitsbild

Im folgenden Diskussionsteil wird aufgrund häufiger Bezeichnung im wissenschaftlichen Kontext von Literaturquellen vor der Entwicklung des Abhängigkeitskonzepts durch die WHO 1997 eine exzessive, normüberschreitende Internetnutzung als „Internetsucht“ bezeichnet und vorerst nicht in „Internetmissbrauch“ und „Abhängigkeit“ unterschieden.

Die Neudefinition der „Internetsucht“ in „Internetabhängigkeit“ und „Internetmissbrauch“ ist nicht universell akzeptiert, weshalb die Begrifflichkeit „Internetsucht“ auch nach 1997 in psychologischer Fachliteratur existiert. Laut der PINTA Studie aus dem Jahre 2011 zählen 560.000 Deutsche zu dieser Form der exzessiven, normüberschreitenden Nutzertypen des Internetsüchtigen. Das ergeben Umfragen der Universität Lübeck, die durch den deutschen Staat in Auftrag gegeben wurden (Bundesgesundheitsministerium, 2011).

4 Kriterien von Suchtkrankheiten.

Kriterien, die klassischen Suchtkrankheiten, wie Cannabis-Sucht oder Alkoholismus unterliegen, können auch bei Betroffenen der „Internetsucht“ ausgemacht werden. So existieren auch bei exzessiver, von der Norm abweichender Internetnutzung vier Kriterien, die Suchtkrankheiten einschließlich der „Internetsucht“ abbilden können.

Das erste Kriterium bezieht sich auf die Zuwendung zum Suchtgegenstand gemessen in Zeitaufwand. Der Zeitaufwand, auch für den substanzungebundenen Konsum des Suchtgegenstands ist stark erhöht, gegenüber vergleichbaren Gegenständen und Verhaltensweisen.

Als zweites Kriterium nimmt die lustvolle Komponente der Internetnutzung, die anfangs Motivation der Handlung war, ab und weicht einer zwanghaften Nutzung. Während dieses Nutzungsverhaltens entsteht ein unwohles, negatives Gefühl, falls der Suchtgegenstand nicht ausreichend konsumiert wird.

Das dritte Kriterium beschreibt die, durch exzessives Nutzungsverhalten und die zwanghafte Beschäftigung bewirkte, Zentralisierung der Suchtaktivität, die zur Verdrängung anderer norminterner Aktivitäten führt.

Als viertes Kriterium erscheint die Beibehaltung des Verhaltens, obwohl sich der Konsument dessen schädlicher Wirkung bewusst ist. Die exzessive Nutzung verändert sich in einen Zwang, der zum Verlust der Kontrolle über den Suchtgegenstand führt (Goldberg, 1995).

Die Kriterien anerkannter klassischer Suchtkrankheiten sind auch bei Betroffenen der „Internetsucht“ erkennbar. Die Internetsucht scheint als Krankheitsbild durch die Erkennbarkeit ihrer Symptome diagnostizierbar, jedoch stellt sich die Frage, ob sie nicht selbst nur Symptom einer anderen psychischen Erkrankung und kein eigenständiges Krankheitsbild ist.

Eine im Jahr 2011 erschienene Studie belegt, dass 86% der Betroffenen von Internetabhängigkeit Komorbiditäten aufweisen (Ko, Yen, Yen, & Chen, 2011). Der Begriff „Komorbidität“ bezeichnet psychische Krankheitsbilder, die im Zusammenhang mit anderen Krankheiten auftreten. Besonders häufige Komorbiditäten bei Internetabhängigen treten als Depressionsstörungen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen auf, die im Zusammenhang mit einer Internetsucht diagnostiziert werden (Müller, 2013). Demnach ist es unwahrscheinlich, dass die Internetsucht als eine eigenständige psychische Krankheit klassifiziert werden kann, da die hohe Wahrscheinlichkeiten der Komorbiditäten-Rate darauf hinweist, dass Internetsucht nur Symptom einer anderen psychischen Krankheit ist.

Auf der anderen Seite liegt auch bei Betroffenen von „Alkoholsucht“ die Komorbiditäten-Rate bei 70-80%. (Maier, 1997). Pathologische Glücksspieler haben sogar eine statistische Wahrscheinlichkeit von 95,5% der Diagnose einer weiteren psychischen Krankheit zu unterliegen. Interessant dabei ist, dass pathologisches Glückspielen ein, im ICD-10 anerkanntes, Krankheitsbild ist. Außerdem wurde Online-Glücksspielsucht in den ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen. Innerhalb der, durch die Weltgesundheitsorganisation klassifizierten psychischen Krankheiten im ICD-10 Version 2015 findet sich die Klassifikation “F63.0: Pathologisches Glücksspiel“ (World Health Organisation, 2015).

Motivationale Trigger der Internetabhängigkeit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Motive, die Betroffene der Internetsucht antreiben, in der motivationspsychologischen Theorie der „Handlungszielausrichtung nach drei Grundmotiven“ von Heckhausen, erkennbar sind. Es konnten Verhaltensweisen von Internetabhängigen aus der Handlungszielverfolgung der drei Grundmotive extrahiert werden. Des weiteren wurde deutlich, dass neben extrinsischen Motivationsfaktoren vor allem intrinsische Motivatoren verantwortlich für das exzessive Internetnutzungsverhalten Betroffener sind. Die Folgen der Internetabhängigkeit sind der gesellschaftlicher Rückzug, die soziale Isolation und letztendlich die Vereinsamung der Betroffenen. Die Frage, ob die Internetabhängigkeit als psychisches Krankheitsbild klassifiziert werden kann, konnte nicht eindeutig beantwortet werden, jedoch konnten, im Ausblick weiterer Forschung zu „Motive und Folgen der Internetabhängigkeit“, gegenüberliegende Argumente angeführt werden.

Ausblick

Basierend auf den Ergebnissen der Pinta Studie 2011, aus der 560.000 Personen in Deutschland als internetabhängig gelten und der Studie von ARD und ZDF, welche die Anzahl an Internetnutzern von 2001 bis 2016 als stetig ansteigend erkennen lässt, müsste aufgrund des Anstiegs der Anzahl an Internetbenutzern, auch der relative Anteil an Internetabhängigen ansteigen. Im weiteren Forschungsverlauf wäre es interessant zu untersuchen, ob und falls ja, wie Internetnutzung und Persönlichkeitsstörungen von Personen generell und speziell die dissoziale Persönlichkeitsstörung miteinander korrelieren. Dieser Fragestellung sowie der Frage nach der Klassifikation der Internetabhängigkeit als psychisches Krankheitsbild kann im weiteren Forschungsverlauf nachgegangen werden. Im Interesse der Forschung könnten auch die weiteren Auswirkungen auf die Gesellschaft ermittelt werden.

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